La cache
Lionel Baier, France, Luxembourg, Switzerland, 2025o
An eccentric family portrait set during the May 1968 protests in Paris. A nine-year-old boy stays with his grandparents and uncles while his parents protest. When an illustrious guest seeks refuge in the apartment, the family’s dynamics change.
Nachdem er sich im Osten (Comme des voleurs), im Westen (Les grandes ondes) und im Süden (La dérive des continents) umgesehen hat, landet der Schweizer Lionel Baier im denkwürdigen Mai 1968 in einem Pariser Stadthaus. La cache, eine fast vollständig hinter verschlossenen Türen spielende Adaption des autobiografischen Romans von Christophe Boltanski, markiert in der Filmografie des Regisseurs eine Rückkehr zu seinem von Kammertheater inspirierten Stil, den er vor zehn Jahren mit La vanité eingeführt hatte.
Eine bürgerliche Familie jüdischer Herkunft schliesst sich in ihren Gemächern ein und wendet sich von den Unruhen auf den Strassen ab. In diesem von antiken Möbeln und Büchern geprägten Ambiente leben das Ehepaar Michel Blanc und Dominique Reymond, ihr temperamentvoller Sohn sowie ihr neunjähriger Enkel, der von seinen Eltern, die sich in die Unruhen stürzen wollen, in die Obhut seiner Grosseltern gegeben wurde. Während die Jüngeren die Geschichte hautnah miterleben wollen, ziehen es die Älteren der Familie vor, sich zurückzuhalten: Als Verfolgte während der Besatzungszeit haben sie die Umwälzungen der Geschichte nur allzu sehr am eigenen Leib erfahren.
Eineinhalb Stunden lang erkundet Lionel Baier – dessen Stimme man im Off hört und den man in einer Nebenrolle als unangenehmen Nachbarn sieht – die vielen Ecken und Winkel der grossen Wohnung, widmet sich jedem Mitglied der Familie, macht zahlreiche Anspielungen auf Filme der Nouvelle Vague und amüsiert sich mit der Künstlichkeit seiner Inszenierung – einige Autoszenen wurden wie in den guten alten Zeiten im Studio gedreht. Dieses ständige Hin und Her vermittelt manchmal den Eindruck, dass der Film auf der Stelle trete, aber Michel Blanc verhilft ihm zum Abheben. Berührend, aufrichtig und zerbrechlich verleiht er La cache einen Hauch von Leben, der ihm selber bald fehlen sollte: Der Schauspieler verstarb kurz nach den Dreharbeiten.
Clément Desbaillet
